Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen können seit März 2017 dank des Gesetzes „zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ Cannabis-Arzneimittel auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet bekommen. Zuvor brauchten Betroffene eine Ausnahmeerlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), um Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erhalten. Die Kosten für die Therapie trugen die Patient:innen in der Regel selbst. Die Gesetzesänderung vom März 2017 ermöglichte vielen Patient:innen erstmals einen Zugang zu Cannabis als Arzneimittel, veränderte jedoch auch den Zugang für diejenigen, die bereits mittels einer Ausnahmegenehmigung Cannabis selbst zu medizinischen Zwecken anbauen oder konsumieren durften.
Wie sich die Versorgungslage mit Cannabis-Arzeimitteln von Patient:innen in Frankfurt darstellt, hat das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS) im Zuge des Projekts „Medizinisches Cannabis in Frankfurt am Main“ wissenschaftlich untersucht. Ihre Studie fasst die Erfahrungen und Probleme der Betroffenen mit dem neuem Verschreibungs- beziehungsweise Zulassungsverfahren zusammen.
Für die Untersuchung stellten sich 170 Personen für ein persönliches oder telefonisches Interview zur Verfügung. Drei Zielgruppen wurden dafür gesucht: Patient:innen mit einer Kostenzusage durch die Krankenkasse (Gruppe A), Patient:innen mit einer entsprechenden Ablehnung (Gruppe B) und Patient:innen, die bisher keine verschreibende Ärzt:in gefunden haben (Gruppe C).
Die Ergebnisse in Kürze:
- Die genannten Beschwerden und Diagnosen der befragten Patient:innen bilden in allen drei Befragungsgruppen ein sehr breites Spektrum ab. Hervorzuheben ist, dass sich keine (drei) grundsätzlich verschiedenen Patient:innengruppen identifizieren lassen. Die Ablehnungsgründe (Gruppe B) beziehungsweise die Schwierigkeit der Arztsuche (Gruppe C)
- hängen also nicht nur von den Beschwerden der Patient:innen ab oder von Diagnosen mit unklaren Einsatzmöglichkeiten von Cannabismedikamenten. Bei denjenigen Personen, die aktuell Cannabis-Arzneimittel nutzen, wird überwiegend von (deutlichen) Verbesserungen berichtet. Es treten allerdings auch Nebenwirkungen auf (siehe Kapitel 3.2 bis 3.4).
- Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum bei einem im Großen und Ganzen ähnlich gelagerten Krankheitsbild bestimmte Patient:innen eine Ärztin oder einen Arzt fanden, die/der Cannabis verschreibt und andere nicht. Dieser Befund unterstreicht die Notwendigkeit, eine qualitätsgestützte und verbesserte Verschreibungspraxis zu erreichen.
- Nahezu alle Befragten, deren Antrag auf Kostenübernahme von den Krankenkassen abgelehnt wurde, haben Widerspruch eingelegt. Unter ihnen besteht auch eine hohe Bereitschaft bei abgewiesenem Widerspruch den Klageweg zu beschreiten. Neben den zusätzlichen Unannehmlichkeiten und individuellen Kosten für die rechtliche Auseinandersetzung, die dies für die Betroffenen bedeutet, ist von nicht unerheblichen gesellschaftlichen Kosten durch Verwaltungs- und Prozessabläufe auszugehen. Ein Großteil der Patient:innen mit einer abgelehnten Kostenzusage ist zudem von persönlichen Kosten betroffen, da fast alle Cannabis-Arzneimittel auf Privatrezept beziehen (siehe Kapitel 3.3.1 und 3.3.2).
- Die Zufriedenheit mit der Unterstützung beim Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln unterscheidet sich sowohl bei Patient:innen mit und ohne Kostenzusage stark nach Akteuren. Mit der Betreuung durch Ärzt:innen sind die Patient:innen überwiegend (sehr) zufrieden, mit den Krankenkassen hingegen ist die deutliche Mehrheit eher oder absolut unzufrieden (siehe Kapitel 3.2.4 und 3.3.4).
- Nicht nur die Verschreibung von Cannabis-Arzneimitteln stellt die Betroffenen vor eine Herausforderung. Eine Apotheke zu finden, die Cannabis-Arzneimittel führt, beschreiben Patient:innen als weitere Hürde. Schließlich sind auch in diesen Apotheken nicht alle Produkte jederzeit verfügbar (siehe Kapitel 3.2.4 und 3.3.4).
- Zum Stand der Aufklärung und Information zeigt sich in allen drei Befragungsgruppen ein gemischtes Bild. Der überwiegende Teil fühlt sich gut oder sehr gut durch Ärzt:innen und Apotheker:innen aufgeklärt. Demgegenüber steht aber jeweils ein Drittel bis knapp die Hälfte der Befragten, die beide Berufsgruppen in punkto Aufklärung negativ bewerten. Angesichts des notwendigen umfassenden Informationsstandes zu dieser Behandlungsform, legen diese Ergebnisse einen Handlungsbedarf nahe (siehe Kapitel 3.2.4 und 3.3.4).
- Die Patient:innen weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung überdurchschnittlich starke körperliche und psychische Belastungen auf. Dies betrifft insbesondere Patient:innen, die keine verschreibende Ärzti:n finden. Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit, die Versorgungsstruktur mit Cannabis-Arzneimitteln zu verbessern. (siehe Kapitel 3.5).