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Newsletter Medizinisches Cannabis
4. Ausgabe 2024
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Liebe Leserinnen und Leser,
viele Ärztinnen und Ärzte dürfen seit dem 17. Oktober medizinisches Cannabis verordnen, ohne dafür einen Kostenübernahmeantrag bei der Krankenkasse zu stellen. Ob sich dadurch die Bereitschaft der Ärzteschaft erhöht, Cannabis-Arzneimittel einzusetzen, bleibt abzuwarten.
Rechtliche Änderungen führen nicht immer zu einem direkten Wandel in der Praxis. Der Nachrang von Cannabis-Blüten, eingeführt im vorigen Jahr, scheint sich nach aktuellen Daten bislang nicht auf die Verordnungszahlen auszuwirken.
Darüber und über viele weitere Neuigkeiten rund um das Thema „Medizinisches Cannabis“ informiert Sie der vorliegende Newsletter. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre, eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Start ins Neue Jahr!
Herzlich,
Ihr Projektteam Cannabismedikation
Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main
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Inhalt
Inhalt:
1. Aktuelles aus Frankfurt am Main
- Lebhafte Diskussion bei Veranstaltung zu Medizinalcannabis in der Psychiatrie
- Termine für das regionale Netzwerk im ersten Halbjahr 2025
- Geplante Studie zu Cannabisverkauf in Fachgeschäften
2. Aktuelles aus Deutschland
- Wegfall des Genehmigungsvorbehalts für viele Arztgruppen
- Verordnungen von Blüten nach Änderung der Arzneimittelrichtlinie
- Anbauvereinigungen in der Aufbauphase
- Das Cannabisgesetz in der öffentlichen Wahrnehmung
3. Aktuelles aus aller Welt
- Spanien – Gesetzentwurf für medizinisches Cannabis
- Luxemburg – Einschränkungen bei Medizinalcannabis geplant
4. Aktuelles aus der Forschung
- Selbstmedikation wegen Endometriose in deutschsprachigen Ländern
- Wirksame Ergänzung zu Standard-Antiemetika bei Chemotherapie
- Keine Gesamt-Symptom-Verbesserung bei palliativer Krebsbehandlung
- Wirksame Schmerztherapie bei diabetischer peripherer Neuropathie
- Dronabinol zur Behandlung von Agitation bei Alzheimer
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Lebhafte Diskussion bei Veranstaltung zu Medizinalcannabis in der Psychiatrie
„Cannabis auf Rezept – Für mein Leben ohne Tics“ – mit einer Vorführung des halbstündigen Dokumentarfilms beteiligte sich das Drogenreferat an der diesjährigen Psychiatriewoche im September. Der Film des Hessischen Rundfunks portraitiert einen 41-jährigen Patienten mit Tourette-Syndrom. Dem Protagonisten gelingt es nicht, eine Kostenübernahme für medizinisches Cannabis bei der Krankenkasse zu erhalten, obwohl sein Psychiater die Verordnung befürwortet. Die Filmemacherin Katrin Wegner nahm an der Vorführung teil und diskutierte anschließend mit dem Publikum.
Zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer fanden sich in dem Film wieder und brachten dies mit eindrücklichen Erfahrungsberichten zum Ausdruck. Die Debatte veranschaulichte das Spannungsfeld von Cannabis als Medizin: Viele schwer erkrankte Menschen schätzen Cannabis als Therapie-Option, auch bei psychiatrischen Diagnosen. Der Weg zu einer Kostenübernahme der Krankenkasse erweist sich allerdings als mühsam.
Wer bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnte, kann noch bis zum 18. Oktober 2025 den Film in der ARD-Mediathek sehen.
Termine für das regionale Netzwerk im ersten Halbjahr 2025
Save the date: Für das erste Halbjahr 2025 wurden die Sitzungstermine des regionalen Netzwerks festgelegt. Sie finden wie üblich online von 18 bis 19 Uhr statt, und zwar
am 19. Februar 2025 und
am 21. Mai 2025.
Das regionale Netzwerk Rhein-Main wird vom Drogenreferat der Stadt Frankfurt organisiert und dient dem Austausch über die aktuelle Versorgung mit Cannabis-Medikamenten, vor allem im Raum Rhein-Main. Behandelt werden grundsätzlich alle Fragen rund um die Verschreibung und um die rechtliche Situation. Medizinische und pharmazeutische Fachkräfte aus Frankfurt am Main und Umgebung sind herzlich dazu eingeladen.
Bitte schreiben Sie uns eine E-Mail, um die Zugangsdaten zur Sitzung zu erhalten: medizinisches.cannabis@stadt-frankfurt.de. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!
Geplante Studie zu Cannabisverkauf in Fachgeschäften
Die Stadt Frankfurt am Main hat ein Modellprojekt zur regulierten Abgabe von Cannabis auf den Weg gebracht. Gemeinsam unterzeichneten Sozial- und Gesundheitsdezernentin Elke Voitl und Drogenreferatsleiter Dr. Artur Schroers am 30. Oktober eine entsprechende Absichtserklärung. Damit kann die geplante Studie sofort beantragt werden, sobald der Bund die Zuständigkeiten geklärt hat. „Wir gehen damit einen wichtigen Schritt“, zeigte sich Voitl überzeugt. „Denn die regulierte Abgabe von Cannabis hat in vielerlei Hinsicht großes Potenzial. Sie kann Verbraucher*innen schützen, die Justiz entlasten und den illegalen Drogenhandel reduzieren.“
Für die Studie sollen registrierte Proband:innen fünf Jahre lang in eigens errichteten Fachgeschäften Cannabis-Produkte kaufen können. Die Studienteilnehmer:innen müssen in Frankfurt wohnen, volljährig und gesund sein sowie an regelmäßigen Befragungen teilnehmen. Profitieren wird aus Sicht von Schroers in erster Linie der Gesundheitsschutz. „Wir erhoffen uns mehr Schadensminderung für Cannabiskonsumierende und eine bessere Integration von Personen mit riskantem Konsum in das Hilfesystem.“
Die Studienleitung des Forschungsprojektes übernehmen Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl (Medizinische Hochschule Hannover) und Prof. Dr. Heino Stöver (Frankfurt University of Applied Sciences). Die operative Umsetzung der Studie erfolgt durch die Sanity Group GmbH.
Weitere Informationen zu der geplanten Studie finden Sie auf der Website des Drogenreferats.
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Wegfall des Genehmigungsvorbehalts für viele Arztgruppen
Zahlreiche Ärzt:innen müssen keinen Antrag bei der Krankenkasse mehr stellen, um medizinisches Cannabis zu verordnen. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 18. Juli beschlossen. Am 17. Oktober ist der Beschluss in Kraft getreten. Sechzehn Facharztgruppen, darunter auch Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin, und zahlreiche Ärzt:innen mit bestimmten Zusatzbezeichnungen sind von der Neuregelung betroffen. Eine Auflistung der Arztgruppen findet sich auf unserer Projekthomepage.
Abzuwarten bleibt, ob diese Veränderung zu einer größeren Bereitschaft in der Ärzteschaft führen wird, medizinisches Cannabis zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu verordnen. Einerseits bringt die Neuregelung einen Wegfall von Bürokratie. Anderseits bleiben die hohen und auslegungsbedürftigen rechtlichen Voraussetzungen für eine Cannabis-Verordnung und die daraus resultierenden Regressrisiken für Ärzt:innen bestehen.
Verordnungen von Blüten nach Änderung der Arzneimittelrichtlinie
Vor über einem Jahr, am 30. Juni 2023, trat ein anderer Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Änderung der Arzneimittelrichtlinie in Kraft. Seitdem muss die Verordnung von Cannabis-Blüten zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse gesondert begründet werden. Es wurde angenommen, dass Ärzt:innen deswegen seltener Blüten verordnen werden. Erste Daten des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (Spitzenverband G-KV) deuten nicht darauf hin. Tatsächlich gab es bei den Verordnungen von Blüten, entsprechend dem Trend aus den Vorhalbjahren, seit Juli 2023 einen leichten Anstieg. Im Verhältnis zu den Verordnungen von Cannabis-Arzneimitteln insgesamt lässt sich ebenfalls keine auffällige Veränderung ablesen.
Anbauvereinigungen in der Aufbauphase
Interessierte können seit dem 1. Juli eine Genehmigung für Cannabis-Anbauvereinigungen beantragen. Mittlerweile wurde von allen Bundesländern die dafür zuständigen Stellen bestimmt. Eine Auflistung der Erlaubnisbehörden findet sich auf der Website der Bundesarbeitsgemeinschaft Cannabis Anbauvereinigungen (BCAv).
Zum 10. Oktober lagen bundesweit 361 Anträge von Anbauvereinigungen vor, wie auf dem Internetauftritt des NDR nachzulesen ist. Bewilligt waren allerdings erst 29 Anträge. In Hessen sind nach Angaben des Regierungspräsidiums Darmstadt zum 10. Dezember zwei von landesweit 27 Anträgen genehmigt. Als erster Club wurde laut Hessenschau der Verein „Broccoli Buddies“ in Schlitz (Vogelsberg) zugelassen. Ein zweiter Antrag wurde demnach im Kreis Gießen genehmigt.
Für die Schulungen der Präventionsbeauftragen in Anbauvereinigungen wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit ein Mustercurriculum entwickelt. Zugelassene Schulungen in Hessen können den Internetauftritten des Regierungspräsidiums Darmstadt und der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. entnommen werden.
Das Cannabisgesetz in der öffentlichen Wahrnehmung
Einer repräsentativen Umfrage aus dem Oktober zufolge halten 55% der Deutschen die (Teil-)Legalisierung rückblickend für falsch, wie im Ärzteblatt zu lesen ist. Nur 37 Prozent der erwachsenen Bundesbürger finden sie richtig. Acht Prozent sind in dieser Frage unschlüssig oder machen keine Angaben.
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Spanien – Gesetzentwurf für medizinisches Cannabis
Spanien gilt als wichtige Exportnation für legal angebautes Cannabis zu medizinischen Zwecken. Abgesehen von den Fertigarzneimitteln Sativex und Epidiolex erhalten Patient:innen im Land selbst aber bislang kein medizinisches Cannabis. Das soll sich nun ändern: Am 30. September veröffentlichte die Regierung einen Gesetzentwurf zum Einsatz von Medizinalcannabis, wie das Online-Portal Sur berichtete. Geplant ist ein restriktiver Umgang. Eine Verordnung kommt nur bei wenigen Diagnosen in Frage, und zwar bei Multipler Sklerose, schweren Formen von Epilepsie, chronischen Schmerzen sowie bei Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie. Außerdem darf keine Standardtherapie zur Verfügung stehen. Die Zubereitung und Abgabe von Cannabispräparaten unterliegt der alleinigen Verantwortung von Krankenhausapotheken und spezialisierten Ärzt:innen. Diese hohen Hürden wurden von Carola Pérez vom Observatorio Español de Cannabis Medicinal als zu restriktiv kritisiert. Aus ihrer Sicht wird die Regelung scheitern und Patient:innen weiter in den illegalen Markt drängen.
Luxemburg – Einschränkungen bei Medizinalcannabis geplant
Seit 2018 ist die Verordnung von medizinischem Cannabis in Luxemburg unter strengen Regeln erlaubt. Zum Jahreswechsel plant die Regierung laut Tageblatt Lëtzeburg nun Änderungen: THC-reiche Cannabisblüten sollen schrittweise verboten werden. Pro 28 Tage wird die maximal verfügbare Menge auf 60 Gramm reduziert. Gleichzeitig soll eine Bedarfsermittlung durchgeführt werden, um die zukünftige Gestaltung des Programms zu unterstützen. Grund dafür ist unter anderem ein Evaluationsbericht, der Missbrauchsfälle bei der Verschreibung der THC-Blüten festgestellt habe, wie das Luxemburger Wort schreibt. Kritik an den geplanten Änderungen äußerte die oppositionelle Grüne Partei in einer Pressemitteilung. Die Reaktion gehe zu weit, in dem Evaluationsbericht wären alternative Lösungen vorgeschlagen worden. „Für Patienten, die ihre Lebensqualität durch die Inhalation vaporisierter Blüten zurückgewonnen haben, ist das ein Schock.“
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Selbstmedikation wegen Endometriose in deutschsprachigen Ländern
Insgesamt 912 Endometriose-Patientinnen aus deutschsprachigen Ländern beteiligten sich an einer Online-Studie von Jasinski et al. (2024). 114 Frauen gaben an, Cannabis zur Selbstmedikation zu verwenden. Sie berichteten von Symptomverbesserungen, vor allem beim Schlaf und bei den Schmerzen. Ungefähr 90% konnten die Einnahme von Schmerzmitteln reduzieren.
Wirksame Ergänzung zu Standard-Antiemetika bei Chemotherapie
147 Patient:innen, die während einer Chemotherapie trotz antiemetischer Standard-Prophylaxe an Übelkeit und/oder Erbrechen litten, waren Teil einer randomisierten, doppelt verblindeten und kontrollierten Studie von Grimison et al. (2024). Eine orale Einnahme von 7,5 mg THC und 7,5 mg CBD pro Tag über einen Zeitraum von sechs Tagen zusätzlich zu einer Standardmedikation zeigte signifikante Verbesserungen der Symptomatik im Vergleich zur Standardmedikation in Kombination mit einer Placebo-Einnahme. Es traten zwar Nebenwirkungen auf, aber keine schwerwiegenden.
Keine Gesamt-Symptom-Verbesserung bei palliativer Krebsbehandlung
In einer randomisierten, doppelt verblindeten und kontrollierten Untersuchung aus Australien stand der Nutzen von medizinischem Cannabis in der Palliativbehandlung im Fokus. 145 Patient:innen mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung in palliativer Versorgung erhielten in der Studie von Good et al. (2024) über 14 Tage ein Cannabisöl oder ein entsprechendes Placebo. Bei der Gruppe mit Cannabis-Behandlung zeigte sich zwar vergleichsweise eine leichte Verbesserung der Schmerzwerte, bei der Gesamt-Symptom-Belastung konnten aber keine Unterschiede zur Kontrollgruppe festgestellt werden.
Wirksame Schmerztherapie bei diabetischer peripherer Neuropathie
Mit der Behandlung von diabetischer peripherer Neuropathie beschäftigte sich die kontrollierte, doppelt verblindete und randomisierte Studie von Khachornsak et al. (2024). An der thailändischen Untersuchung nahmen hundert Patient:innen über einen Zeitraum von zwölf Wochen teil. Die transdermale Behandlung mit Cannabis-Wirkstoffen führte zu einem signifikant stärkeren Rückgang der Schmerzen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Es traten nur wenige und geringfügige Nebenwirkungen auf.
Dronabinol zur Behandlung von Agitation bei Alzheimer
In einer kontrollierten und randomisierten Studie mit 75 Teilnehmer:innen wurde die Wirksamkeit von Dronabinol bei der Behandlung schwerer Agitation im Rahmen einer Alzheimer-Erkrankung untersucht. Die Ergebnisse der noch unveröffentlichten US-amerikanischen Studie wurden im September auf einer Fachtagung in Buenos Aires vorgestellt. Demnach reduzierte sich die Agitation bei der Behandlungsgruppe in einem Zeitraum von drei Wochen um 30%, während die Werte bei der Placebo-Gruppe unverändert blieben. Somit ist Dronabinol nach Ansicht der Forscher:innen ähnlich wirksam wie andere übliche Medikamente, zum Beispiel Antipsychotika. Zugleich werde es aber von den Patient:innen im Vergleich zu herkömmlichen Therapien gut vertragen.
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