Erste Erfahrungen mit dem Cannabisgesetz
Seit dem 1. April gilt in Deutschland das Cannabisgesetz (CanG). Erwachsene dürfen im öffentlichen Raum bis zu 25 Gramm Cannabis bei sich tragen, zuhause gilt die Besitzobergrenze von 50 Gramm. Bis zu drei Pflanzen pro Erwachsenen sind für den Eigenbedarf erlaubt. Und zum 1. Juli treten die Regelungen für den gemeinschaftlichen Anbau in Cannabis-Anbauvereinigungen in Kraft.
Strittig waren bis zuletzt die Belastungen, die aus dem neuen Gesetz für die Justiz erwachsen. Zumindest für die Polizei in Hessen scheint es anfangs zu keinem großen Mehraufwand gekommen zu sein, wie die Hessenschau berichtete: Dem Landeskriminalamt waren in den ersten Tagen nach der Cannabis-Freigabe keine größeren Einsatzmaßnahmen oder Zwischenfälle in Hessen bekannt.
Belastungen für die Staatsanwaltschaften
Für die Staatsanwaltschaften hingegen kam es durch den rückwirkenden Straferlass im Cannabisgesetz kurzfristig zu erheblicher Mehrarbeit. Noch nicht (vollständig) vollstreckte Strafen wegen Taten, die seit dem 1. April straffrei sind, dürfen nicht mehr vollzogen werden. Allein in Hessen mussten dafür 190.000 Verfahren gesichtet werden, wie die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft der Hessenschau mitteilte.
Alle laufenden Strafvollstreckungen waren zu überprüfen, weil theoretisch in jedem Verfahren neben anderen Straftaten auch ein Cannabis-Delikt eine Rolle spielen kann. Eine zielgenaue elektronische Suche nach den für die Amnestie in Frage kommenden Fällen scheint weder in Hessen noch in einem anderen Bundesland möglich zu sein.
Umstrittene Details
Manches Detail im Cannabisgesetz führt bereits zu kontroverser Auslegung. Dazu gehören die Abstandsregeln für den Konsum im öffentlichen Raum. Häufig liest man, innerhalb von hundert Metern von Schulen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen sei der Konsum verboten. Das Gesetz spricht allerdings von „Sichtweite“ und führt dazu aus: Eine Sichtweite ist „bei einem Abstand von mehr als 100 Metern von dem Eingangsbereich der … Einrichtungen nicht mehr gegeben“. Nach Ansicht der Bundestagsabgeordneten Carmen Wegge (SPD) gilt diese feste Distanz nur bei freier Sicht. „Das kann auch deutlich weniger als 100 Meter sein“, schreibt sie auf X. Ein Sprecher des bayrischen Gesundheitsministeriums plädierte hingegen im Bayrischen Rundfunk für eine „restriktive Auslegung“. Eine Sichtweite sei grundsätzlich auch dann noch gegeben, „wenn lediglich ein Baum oder eine Hecke die Sichtlinie unterbricht“. Mehr noch: Bei dazwischenstehenden Mauern oder Gebäuden müsse im Einzelfall anhand der Umstände vor Ort beurteilt werden, ob „Sichtweite“ gegeben ist.
Diese Problematik lässt sich womöglich erst durch (höchstinstanzliche) Rechtsprechung klären. Das gilt genauso für die Auseinandersetzung um den inländischen Verkauf von Cannabissamen. Unstrittig erlaubt das Cannabisgesetz den Bezug von Cannabissamen für den Eigenanbau schon jetzt über den Fernabsatz im europäischen Ausland. Ab 1. Juli soll der Erwerb von Vermehrungsmaterial auch über die Anbauvereinigungen möglich sein. Der Gesetzestext vermittelt den Eindruck, die Möglichkeiten für den Handel mit Cannabissamen damit abschließend aufzuzählen. Der Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. legt das Gesetz in einem Diskussionspapier aber anders aus. Demnach dürften auch Ladengeschäfte des stationären Einzelhandels legal Cannabissamen verkaufen.
Bußgelder bei Verstößen gegen Ordnungswidrigkeiten
Zahlreiche Fragen müssen noch auf Länderebene geklärt werden, zum Beispiel die Höhe der Geldbußen bei den neuen Ordnungswidrigkeiten. Bayern ist hier vorgeprescht und hat bereits am 25. März einen „Bußgeldkatalog Konsumcannabis“ veröffentlicht. Für eine geringfügige Überschreitung der Besitzmengen beispielsweise droht in dem Freistaat nun eine Geldbuße von 500 bis 1.000 €. Der Strafverteidiger Konstantin Grubwinkler bezeichnete diese Beträge in einem Interview mit ZDFheute als „unverhältnismäßig“. Er würde Verstöße gegen das Cannabis-Gesetz mit „kleineren Geschwindigkeitsüberschreitungen" vergleichen. „Dass man im Bereich 30, 50, 100 Euro liegt. Also ein Zehntel von dem, was wir jetzt haben." Zahlreiche andere Bundesländer, darunter Hessen, haben verkündet, ebenfalls an einem Bußgeldkatolog zum Cannabisgesetz zu arbeiten, wie die Online-Plattform LTO berichtete.
Verwaltung von Anbauvereinigungen
Auch was die Verwaltung der Anbauvereinigungen angeht, stehen die Bundesländer unter Beobachtung. Im Gesetz heißt es, dass Erlaubnis und Überwachung durch die „zuständige Behörde“ erfolge. Wer damit gemeint ist, bestimmen die Länder. Und es ist erneut Bayern, das sich hier sehr früh festgelegt hat. Schon in der Kabinettssitzung vom 12. März beschloss die bayrische Landesregierung die Einrichtung einer zentralen Kontrolleinheit zur Erteilung von Erlaubnissen an Anbauvereinigungen und deren anschließende Überwachung. Sie soll am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit angesiedelt werden und dafür 20 neue Planstellen erhalten. Für den Aufbau und Betrieb der zentralen Kontrolleinheit rechnet die Staatsregierung mit Kosten in Höhe von rund sechs Millionen Euro. Die bayrische Landesregierung erhofft sich damit eine strenge Umsetzung des Cannabisgesetzes, „um Konsumanreizen möglichst entgegenzuwirken und den Erfordernissen des Gesundheits- und Jugendschutzes im Rahmen des rechtlich Zulässigen umfassend Rechnung zu tragen“.
In Hessen hingegen ist bislang keine zuständige Behörde für die Anbauvereinigungen bestimmt. Der Hessische Städtetag hatte im März der Landesregierung vorgeschlagen, dass „das Land Zulassung und Überwachung von Anbauvereinigungen und ihrer Tätigkeit ausschließlich in eigener Verantwortung durchführt und nicht auf die Kommunen delegiert“, wie in der Frankfurter Rundschau zu lesen war. Dem Bericht zufolge sollen dazu zeitnah Gespräche in Wiesbaden stattfinden.
Erste Änderungen am Gesetz in Aussicht
Bis dahin könnte das Cannabisgesetz schon zum ersten Mal abgeändert worden sein. Bereits bei der Abstimmung im Bundesrat ist die Bundesregierung den Ländern mit einer Protokollerklärung entgegengekommen. Versprochen wurden unter anderem mehr Geld für die Prävention, aber auch strengere Kontrollen der Anbauvereinigungen. So sollen beispielsweise nicht eine Vielzahl von Anbauvereinigungen Anbauflächen am selben Ort bzw. im selben Objekt betreiben dürfen. Ein erster Gesetzentwurf liegt mittlerweile vor und steht für eine erste Lesung am 16. Mai auf der Tagesordnung im Bundestag.
Eine Kurz-Übersicht zu den aktuell geltenden Regelungen des Cannabisgesetzes bietet das Drogenreferat auf seinem Internet-Auftritt. Ausführliche Informationen findet man in einer FAQ-Liste des Bundesgesundheitsministeriums. Und wer sich seine Fragen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach persönlich beantworten lassen will, kann sich dessen Sprechstunde „Cannabis Spezial“ auf YouTube anschauen.
Auswirkungen der neuen rechtlichen Regelungen auf Cannabis als Medizin
Häufig wird das Cannabisgesetz nur mit dem Freizeitkonsum in Verbindung gebracht. Dabei führt es auch zu vielen Veränderungen für den Medizinalbereich.
Seit dem 1. April fallen Cannabisarzneimittel nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz. Damit soll der Aufwand für Ärzteschaft und Apotheken sinken, wie das Handelsblatt beschreibt. Apotheken müssen Cannabis-Produkte nicht mehr wie bisher in Tresoren aufbewahren. Außerdem fällt Bürokratie weg: Bisher verschrieben Ärzt:innen Cannabis per Betäubungsmittelrezept, das zwei Durchschläge hat. Einer davon musste in der Arztpraxis aufbewahrt werden, der andere in der Apotheke – und das für drei Jahre.
Mehr Privatrezepte
„Wir erwarten deutlich mehr Nachfrage“, lässt sich Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, in dem Bericht zitieren. „Medizinisches Cannabis wird entstigmatisiert und einfacher verschreibbar.“
Damit scheint er Recht zu behalten. Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) beobachtet laut Frankfurter Rundschau einen starken Anstieg an Privatrezepten für Cannabis seit dem 1. April, vor allem ausgestellt von Telemediziner:innen. Michael Kambeck, politischer Sprecher vom Bund deutscher Cannabis-Patienten (BDCan), spricht von einer „Menge an Pseudo-Patientinnen und -Patienten“.
Kontroverse um den Einsatz von Telemedizin
Zwar ist der Besitz von Cannabis zum Freizeitkonsum mittlerweile entkriminalisiert. Aber bisher gibt es keinen legalen Bezugsweg. Wer zum 1. April mit dem Eigenanbau begonnen hat, wird noch keine Ernte eingefahren haben. Und die Anbauvereinigungen kommen sowieso erst im Juli. Was liegt da näher, als bei einer telemedizinischen Behandlung Schlafstörungen anzugeben, um Cannabis aus der Apotheke zu erhalten?
Julian Wichmann, CEO beim Unternehmen Algea Care, das auf seiner Homepage im April mit dem Slogan „Cannabis auf Rezept für nur 1 €“ warb, hält in der Frankfurter Rundschau dagegen: „Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen vorweg ein täuschendes Verhalten oder gar einen Missbrauch zu unterstellen, zeigt die leider bestehende Stigmatisierung … von medizinischem Cannabis“. Die Telemedizin kann bei seriöser Anwendung ein Instrument darstellen, um schwer zu erreichende Patientengruppen für eine geeignete Behandlung zu gewinnen.
Eigenanbau keine Alternative für ärztlich angeleitete Cannabis-Therapie
Nicht nur steht die Vermutung im Raum, Freizeitkonsument:innen würden vermehrt auf den Markt für Medizinalcannabis drängen. Der VCA beobachtet auch, wie Patient:innen in Arztpraxen neuerdings auf den erlaubten Eigenanbau verwiesen werden. „Diese Art der Selbstmedikation kann nicht der richtige Weg sein für die Therapie mit Medizinalcannabis“, sagt Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbands, in der Frankfurter Rundschau.
Patient:innen mit medizinischen Cannabis leiden regelmäßig an schweren und chronischen Erkrankungen. In der Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde eine durchschnittliche Erkrankungsdauer von acht Jahren festgestellt. 70% der Patient:innen mit Cannabis-Arzneimitteln wurden bereits mit Opiaten/Opioiden behandelt. Dieser Personenkreis benötigt unabhängig von seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen Zugang zu ärztlich angeleiteter und überwachter Behandlung mit Cannabisarzneimitteln.
Neuer Grenzwert im Straßenverkehr geplant
Eine vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Expertengruppe hat eine Empfehlung für einen THC-Grenzwert im Straßenverkehr vorgelegt. Die Ampel-Koalitionäre haben signalisiert, diese Empfehlung schnell umzusetzen. Demzufolge handelt zukünftig ordnungswidrig, wer ein Fahrzeug führt und 3,5 Nanogramm THC oder mehr pro Milliliter im Blutserum hat. Dies gilt nicht, wenn der THC-Nachweis im Blut von der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Medikaments herrührt. Auch dazu liegt bereits ein Gesetzentwurf vor und steht am 16. Mai auf der Tagesordnung im Bundestag.
G-BA: Genehmigungsvorbehalt wird bis Juni neu geregelt
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) arbeitet an einer Änderung der Arzneimittelrichtlinie, wie bereits im letzten Newsletter berichtet. Konkret soll geregelt werden, bei welcher ärztlicher Qualifikation der Genehmigungsvorbehalt bei der Erstverordnung von Cannabis zukünftig entfallen kann. Die mündliche Anhörung zum Stellungnahmeverfahren fand am 11. März statt. Ein entsprechender Beschluss wird laut G-BA „im ersten Halbjahr 2024“ erwartet. Für die nächste öffentliche Sitzung am 16. Mai steht das Thema noch nicht auf der Tagesordnung.
Kongress der Deutschen Medizinal-Cannabis Gesellschaft im Mai
Am 23. und 24. Mai findet in Berlin der 5. Medicinal Cannabis Congress der Deutschen Medizinal-Cannabis Gesellschaft e.V. (DMCG) statt. Am ersten Kongresstag stehen vor allem Fachbeiträge zur Behandlung von älteren Patient:innen auf dem Programm. Der zweite Tag bietet dann eine bunte thematische Mischung – vom Einsatz von Cannabinoiden in der Veterinärmedizin bis hin zu einem Blick auf das „Cannabis der Zukunft“. Die Veranstaltung ist mit insgesamt 9 CME-Punkten zertifiziert. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier.
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