Änderung der Arzneimittelrichtlinie seit 30. Juni in Kraft
Mit Spannung war die Änderung der Arzneimittelrichtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erwartet worden. Der bereits im Oktober 2022 veröffentlichte Entwurf ließ vermuten, dass der Zugang zu medizinischem Cannabis erheblich erschwert werden könnte. Auch die Stadt Frankfurt hatte sich kritisch dazu positioniert.
Die am 16. März beschlossene und am 30. Juni in Kraft getretene Änderung fiel jedoch als weniger einschneidend als erwartet aus. Insbesondere wurde die Idee eines Facharztvorbehalts fallengelassen. Unverändert dürfen Ärzt:innen aller Fachrichtungen medizinisches Cannabis verschreiben. Einen vereinfachten Zugang zu Cannabisarzneimitteln gibt es über die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV). Hier entfiel der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen.
Allerdings kamen mit der Änderung der Arzneimittelrichtlinie auch Hürden speziell für die Verordnung von Cannabis-Blüten hinzu. So heißt es neu in der Arzneimittelrichtlinie: „Vor einer Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten ist zu prüfen, ob andere cannabishaltige Fertigarzneimittel zur Verfügung stehen, die zur Behandlung geeignet sind. Die Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist zu begründen.“
Fachverbände gegen Nachrang von Blüten und für Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts
Gegen den Nachrang von Blüten bei der Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln richtet sich ein Positionspapier von acht Fachverbänden. In dem Schreiben vom 17. Mai mahnen Organisationen von Patient:innen, Ärzteschaft, Apotheken und Cannabisbranche: „Die zusätzliche Forderung nach einer expliziten ärztlichen Begründung im Rahmen des Genehmigungsvorbehalts nur für Cannabisblüten wird das Genehmigungsverfahren und damit den Zugang für Patientinnen und Patienten zu einer geeigneten Therapieform unnötig einschränken und erschweren.“ Es sei bekannt, dass für eine Vielzahl von Anwendungen gerade die schnelle Wirkstoffaufnahme durch das rasche Anfluten beim Verdampfen und Inhalieren von Cannabis erforderlich sei, die weder durch verfügbare cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel noch durch die orale Aufnahme von Cannabisextrakten erzielt werden könne.
Die Verbände fordern, den Genehmigungsvorbehalt komplett zu streichen. Die Regelung sei mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Aufgrund der hohen Ablehnungsquote bleibe Patientinnen und Patienten häufig keine andere Wahl, als sich mit Cannabis aus unsicheren, illegalen Quellen zu versorgen.
Ausnahme vom Genehmigungsvorbehalt für (Fach-)Arztgruppen geplant
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) soll in § 31 Sozialgesetzbuch V ein neuer Absatz 7 eingefügt werden: „Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt bis zum ... [einsetzen: Datum des ersten Tages des dritten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats] in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Nummer 6 das Nähere zu einzelnen Facharztgruppen und den erforderlichen ärztlichen Qualifikationen, bei denen der Genehmigungsvorbehalt nach Absatz 6 Satz 2 entfällt.“ Außerdem soll die Frist für die Genehmigung der Krankenkasse von drei auf zwei Wochen reduziert werden, bei einer Einschaltung des Medizinischen Dienstes von fünf auf vier Wochen.
Sollte dieser Gesetzesvorschlag Wirklichkeit werden, könnten schon bald bestimmte (Fach-)Ärzt:innen Cannabis auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse ohne gesondert zu beantragende Genehmigung verschreiben. Spannend bleibt die Frage, welche Gruppen von Ärzt:innen vom G-BA dafür ausgewählt werden. Der Gesetzentwurf wurde am 21. Juni vom Gesundheitsausschuss des Bundestages dem Parlament zur Annahme empfohlen.
Verkaufspreis von deutschen Cannabis-Blüten erhöht
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat den Verkaufspreis für Medizinal-Cannabisblüten aus Deutschland zum 1. Juli von 4,30 € auf 5,80 € pro Gramm angehoben.
Aus Sicht des Internetportals apotheke adhoc könnte sich das vor allem für Selbstzahler:innen bemerkbar machen. Für sie seien deutsche Cannabis-Blüten aufgrund ihres niedrigeren Preises besonders beliebt. Durch die Erhöhung habe sich das Preisniveau von deutschen Blüten und Importware aber angenähert.
Zu dem Verkaufspreis von deutschen Blüten kommt noch ein Zuschlag für Rezepturarzneimittel in Höhe von 100 % und ggf. ein weiterer für Zubereitungen in Höhe von 90 % hinzu. Bei Importcannabis liegt der Grammpreis mit 9,52 € zwar deutlich höher, die Zuschläge sind aber nach Einkaufsmenge gestaffelt: Bei einem Einkauf bis zu 15 Gramm gibt es auch hier Zuschläge von 100 %, also 9,52 € pro Gramm. Ab 15 bis 30 Gramm verringern sich diese auf 3,70 € je weiteres Gramm, und bei mehr als 30 Gramm fallen sie auf 2,60 € pro Gramm.
Vernichtete Cannabis-Blüten für Apotheken nicht mehr abrechenbar
Ab dem 1. August können vernichtete deutsche Cannabis-Blüten nicht mehr abgerechnet werden, wie das Onlineportal apotheke adhoc berichtete.
Die BfArM-Cannabisblüten kommen in Gebindegrößen von 50 Gramm auf den Markt. Ab Marktverfügbarkeit haben sie oft nur eine Haltbarkeit von vier Monaten oder weniger. Daher bleiben in den Apotheken häufig Anbrüche übrig. Bislang konnten die vernichteten Blüten abgerechnet werden. Zum August hat der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) diese Regelung nun gekündigt. Damit ist zu fürchten, dass Medizinalcannabisblüten aus Deutschland gegenüber Importware zusätzlich an Attraktivität verlieren.
Geplanter Wegfall von Betäubungsmittelrezepten und Abgabebelegverfahren
Der Referentenentwurf des Cannabisgesetzes vom 5. Juli sieht Neuerungen für Cannabis als Arzneimittel vor. Unter anderem soll medizinisches Cannabis in Zukunft nicht mehr auf Betäubungsmittelrezepten, sondern auf normalen Rezepten verschrieben werden. Außerdem wird für Cannabis zu medizinischen Zwecken das Abgabebelegverfahren abgeschafft und damit bürokratischer Aufwand vermindert.
Regelmäßige Online-Fortbildungen der ACM
Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis in der Medizin e.V. (ACM) bietet neuerdings alle zwei Wochen Online-Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte an. Die Veranstaltungen mit dem Titel „Fallbesprechung aus der Praxis der Cannabistherapie“ finden an jedem 1. und 3. Mittwoch im Monat von 18:15 bis 19:00 Uhr statt. Die Teilnahme erfolgt über Zoom und ist kostenlos. Von der Ärztekammer Westfalen-Lippe ist die Veranstaltungsreihe mit 2 CME-Punkten pro Fortbildung zertifiziert. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Dr. Franjo Grotenhermen. Koreferentin ist Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl.
Cannabis zum Freizeitkonsum: Entkriminalisierung und Modellregionen
Mit dem neuen Eckpunktepapier vom 12. April hat die Bundesregierung ihre ursprünglichen Pläne einer bundesweiten kontrollierten Abgabe von Genusscannabis in lizensierten Fachgeschäften modifiziert. Hintergrund dafür sind Bedenken, dass die Regelung gegen EU-Recht verstößt.Stattdessen wurde nun das „2-Säulen-Modell“ angekündigt: In einem ersten Schritt sollen der Anbau in nicht-gewinnorientierten Vereinigungen und der private Eigenanbau ermöglicht werden. Die Abgabe in Fachgeschäften ist in einem zweiten Schritt als wissenschaftlich konzipiertes, regional begrenztes und befristetes Modellvorhaben geplant.
Zur ersten Säule, also zu Entkriminalisierung, Eigenanbau und Anbauvereinen, wurde im April ein erster Gesetzentwurf entwickelt. Der unter Verschluss gehaltene Entwurf wurde geleakt und von der Legal Tribune Online veröffentlicht. Kritik an dem Vorschlag kommt von unterschiedlichen Seiten:
Erwartungsgemäß stößt der Entwurf bei der konservativen Opposition auf Ablehnung. „Damit kein Missverständnis aufkommt: … Ich wünsche mir überhaupt keine Cannabis-Legalisierung“, erklärt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Er ergänzt zum bekannt gewordenen Text: „Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Lauterbach zu den Cannabis-Clubs ist ein Bürokratiemonster. Er ist so kompliziert, dass die Regelungen kaum umzusetzen, geschweige denn zu überwachen sind. ... Gleichzeitig kommt das wichtige Thema der Suchtprävention viel zu kurz.“
Aber auch Befürworter:innen einer Legalisierung äußern sich kritisch. Der Geschäftsführer des Deutschen Hanf-Verbands, Georg Wurth, sieht bei dem Gesetzentwurf noch viel Anpassungsbedarf, wie er in einem Interview in Der Westen mitteilt: „Zum Beispiel, dass in Anbau-Clubs kein Konsum vor Ort möglich sein soll. Oder, dass man privat drei Pflanzen pro Jahr anbauen darf. So eine Begrenzung ist komplett unsinnig, das kann man überhaupt nicht kontrollieren lassen.“
Franjo Grotenhermen, geschäftsführender Direktor der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM), geht auf die Bedeutung der Änderungsvorschläge für die Versorgung mit medizinischem Cannabis ein. „Solange der überwiegende Anteil bedürftiger Patientinnen und Patienten nicht über das Gesundheitssystem versorgt wird, begrüßen wir die Möglichkeit des Eigenanbaus. Dieser bietet einigen Patientinnen und Patienten eine Option, um aus der Illegalität herauszukommen. Allerdings sehen wir erhebliche Risiken, die mit einer Verdrängung von Patientinnen und Patienten in den Freizeitmarkt verbunden sind.“
Am 5. Juli veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium einen überarbeiteten Referentenentwurf zum Cannabisgesetz (CanG) auf seiner Homepage. Die neu vorliegende Fassung unterscheidet sich nur in Details vom geleakten Vorgänger-Entwurf. Unter anderem sollen Anbauvereinigungen nicht mehr die Möglichkeit haben, sozialversicherungspflichtige Beschäftigte einzustellen.
Noch etwas länger wird man auf Konkretisierungen zur zweiten Säule des Eckpunktepapiers warten müssen. Zu den regionalen Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten sei erst „im Herbst“ mit einem Gesetzentwurf zu rechnen, wie sich Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Bundestag, im Spiegel zitieren lässt. Die Regelung zu den Modellregionen ist nach Ansicht der Bundesregierung notifizierungspflichtig und soll daher der Europäischen Union vorgelegt werden. Die Stadt Frankfurt am Main hat bereits angekündigt, sich gemeinsam mit der Stadt Offenbach am Main als Modellregion zu bewerben.
Im Rahmen der Legalisierungsdebatte wird immer wieder die Notwendigkeit von zusätzlichen Mitteln für Prävention betont. Wie das angesichts der Sparpolitik auf Bundesebene gelingen kann, ist unklar. Die Tagesschau berichtete am 5. Juli von Kürzungen bei dem Posten "Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs" im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums von etwa 13,2 Millionen € im Jahr 2023 auf 9,2 Millionen € im Folgejahr. „Für Suchtprävention sollen also vier Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen. Für den Bundesgesundheitsminister ist das insofern heikel, da er versprochen hat, im Zuge der geplanten Cannabis-Legalisierung mehr für die Prävention gegen Drogenkonsum zu unternehmen. So hatte Lauterbach bereits mehrfach angekündigt, die geplante Legalisierung mit einer großen Präventionskampagne begleiten zu wollen.“
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