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Sonderausgabe des Newsletters Medizinisches Cannabis

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse aller Untersuchungen zur Versorgung mit Medizinischem Cannabis in Frankfurt am Main

Herzlich willkommen!

Unser Newsletter informiert Interessierte in regelmäßigen Abständen über neue Entwicklungen im Bereich Medizinisches Cannabis. In dieser Sonderausgabe möchten wir Ihnen die Ergebnisse der vier von uns initiierten Untersuchungen zu Cannabis als Medizin vorstellen, sie einordnen und diskutieren. Sie finden in den vier Kapiteln zu den einzelnen Untersuchungen jeweils einen Link zu den ausführlichen Berichten mit allen wissenschaftlichen Quellenangaben.
Wenn Sie Fragen haben, Kritik oder Anregungen, freuen wir uns auf einen Austausch mit Ihnen.

Herzlich

Ihr Projektteam Cannabismedikation
Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main

Inhalt

1. Systematische Literaturrecherche

2. Befragung von Ärzt:innen und Fokusgruppeninterviews

3. Patient:innenbefragung

4. Dunkelfeldbefragung

5. Diskussion der Ergebnisse

6. Fazit

7. Newsletter abonnieren

1. Systematische Literaturrecherche

In den Bericht „Systematische Literaturrecherche zur Versorgungssituation mit Medizinischem Cannabis“ wurde bis Mai 2020 veröffentlichte Literatur einbezogen. Er informiert unter anderem über relevante Akteur:innen bei der Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln, fasst die Erkenntnisse zur Evidenzlage zum Einsatz von Cannabis in der Medizin zusammen, beleuchtet die Versorgungssituation in Deutschland, stellt die Versorgungsstrukturen in anderen Ländern (Österreich, Schweiz, Israel) vor und bildet aktuelle Debatten zum Einsatz der Arzneimittel ab.


Seit März 2017 dürfen Ärzt:innen in Deutschland Cannabis-Arzneimittel auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung verschreiben. Getrocknete Blüten, Extrakte und Fertigarzneimittel werden über ein Betäubungsmittelrezept verordnet. Patient:innen beantragen die Übernahme der Kosten bei ihrer Krankenkasse, außer sie erhalten ein Fertigarzneimittel innerhalb des zugelassenen Anwendungsgebiets. Ärzt:innen müssen bei Behandlungen mit Medizinischem Cannabis, die durch gesetzliche Krankenversicherungen genehmigt wurden, Daten für die Begleiterhebung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übermitteln. Sie haben die Pflicht, Patient:innen umfassend über die Wirkung, Anwendung und Lagerung der Arzneimittel sowie die Verkehrstüchtigkeit nach der Einnahme zu informieren.


Patient:innen haben einen Anspruch auf die Behandlung, wenn sie an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden, eine anerkannte medizinische Leistung nicht zur Verfügung steht oder nicht angewendet werden kann und eine positive Auswirkung durch eine Einnahme von Medizinischem Cannabis zu erwarten ist.


Die Wirksamkeit von Cannabis als Medizin ist größtenteils lückenhaft erforscht. Für psychische Erkrankungen liegt insgesamt keine ausreichende Evidenz vor. Chronische Schmerzen sind am besten erforscht, doch auch hier fehlen qualitativ hochwertige Studien. Positive Wirkungen zeigten sich bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen aufgrund einer Chemotherapie. Indizien bestehen für eine verbesserte Gewichtszunahme bei HIV und Krebs, bei der Behandlung von Schlafstörungen und dem Tourette-Syndrom. Es gibt Hinweise auf eine Verbesserung von Spasmen bei Multipler Sklerose. Nebenwirkungen zeigten sich meist vorübergehend und nicht schwerwiegend. Auch hier fehlen Langzeituntersuchungen.


Für mit Cannabis behandelte Patient:innen stellt das Führen eines Fahrzeugs unter Cannabiswirkung nicht grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Medizin muss jedoch ärztlich verordnet und bestimmungsgemäß eingenommen sein. Bei außerhalb der Indikation konsumiertem Cannabis oder bei durch die Medikamente eingeschränkter Fahrtüchtigkeit oder Ausfallerscheinungen ist das Fahren jedoch strafbar. Letzteres sei in der Einstellungs- und Eingewöhnungsphase der Medikation häufig der Fall. Im Fall einer Kontrolle sei eine Bescheinigung oder ein Rezept sinnvoll.


Die Krankenkassen haben eine Frist für die Prüfung der Anträge einzuhalten. Aufgrund fehlender Studien beauftragen sie meist den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Einschätzung. Trotz der gesetzlichen Regelung, dass der Antrag nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden darf, werden fast 40 % abgelehnt. Hessen stellt mit einer Genehmigung von nur 56,4 % der Anträge das Schlusslicht dar (Auswertung von Daten der BARMER). Im Cannabis-Report, der die Daten der Techniker Krankenkasse (TK) näher beleuchtet, werden dafür folgende Gründe genannt:


  • Verfügbarkeit anderer wirksamer Therapiealternativen,
  • triviale Diagnosen,
  • unvollständig ausgefüllte Anträge.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde mit der Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln beauftragt. Die Daten müssen in der Zeit von 2017 bis 2022 nach einem Jahr Behandlung oder nach einem Abbruch gemeldet werden. Ein Wechsel zwischen zwei Medikamenten wird als Abbruch gewertet; seit 2019 gilt das nur noch für einen Wechsel zu einer anderen Medikamentenart. Ein Abgleich der Daten lässt vermuten, dass weniger als die Hälfte der Behandlungsdaten gemeldet wurden.


Die Cannabisagentur des BfArM kontrolliert Anbau, Ernte, Verarbeitung, Qualitätsprüfung, Lagerung, Verpackung und die Abgabe an Händler:innen, Apotheker:innen und Hersteller:innen von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland. Der Anbau von Cannabis wurde an drei Unternehmen vergeben. Bisher wird der Bedarf über Importe gedeckt. Dabei kam es immer wieder zu Lieferengpässen.


Apotheken können Cannabis über den pharmazeutischen Großhandel einkaufen. Sie müssen für Cannabisblüten eine dreistufige Identitätsprüfung vornehmen, die Medikamente nach besonderen Vorschriften für Betäubungsmittel lagern und die Rezepte vor der Ausgabe prüfen. Die deutschen Preise gelten als vergleichsweise hoch. Das wird auf die unnötig aufwendigen Prüfungen in Apotheken zurückgeführt.


Es gibt unterschiedliche Medikamente: Neben fertigen, zugelassenen Arzneimitteln mit konkret erforschten Anwendungsgebieten und Dosierungen gibt es Blüten und Rezepturarzneimittel. Deren genaue Wirkung ist jeweils nicht erforscht. Der Effekt der Medikamente hängt auch von der gewählten Einnahmeform ab. Auch die Kosten der verschiedenen Arzneimittel sind nicht vergleichbar, da sie verschiedene Zusammensetzungen und Wirkungen aufweisen.


Es gibt verschiedene Interessenverbände, die teilweise Unterstützung für Patient:innen und Ärzt:innen anbieten, sich aber auch politisch für die Verbesserung der Rahmenbedingungen einsetzen.


Politisch wird neben den hohen deutschen Preisen bemängelt, dass der bürokratische Aufwand für die Anträge hoch sei, auch Ablehnungen aufgrund von Fehlern im Antrag erfolgten, beim Wechsel des Arzneimittels ein neuer Antrag zu stellen sei und das Verfahren die Therapiehoheit der Ärzt:innen unterlaufe. Andererseits wird argumentiert, das Verfahren biete Sicherheit und ohne Anträge bestünde die Gefahr von Regressen.


2. Befragung von Ärzt:innen und Fokusgruppeninterviews

Der Bericht zur Befragung von Ärzt:innen und Fokusgruppen zu Cannabis-Arzneimitteln in Frankfurt am Main umfasst die Ergebnisse einer qualitativen Ärzt:innenbefragung sowie zweier wissenschaftlicher Fokusgruppendiskussionen.


Ärzt:innen sind zentrale Akteure bei der Verschreibung von Cannabis-Arzneimitteln. Sie beraten ihre Patient:innen zu den medizinischen Einsatzmöglichkeiten von Cannabis oder werden von neuen oder bestehenden Patient:innen auf eine potentielle Cannabisverschreibung angesprochen. Sie begründen für ihre Patient:innen eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen oder unterstützen sie beim Widerspruch gegen einen abgelehnten Antrag. Nicht zuletzt verfügen sie über Kontakte zu vielen anderen relevanten Akteur:innen beim Einsatz von Cannabis in der Medizin.


Mittels eines leitfadengestützten Interviews haben die Wissenschaftler:innen 17 Ärzt:innen unterschiedlicher Fachrichtungen persönlich zum Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln befragt. Eine Gruppe hatte bereits Erfahrungen mit Cannabisbehandlungen, die andere nicht. Die Interviews wurden zwischen Januar und März 2019 geführt. Ziel der Untersuchung war es, den Status Quo zu Umständen und Problemen bei der Verschreibung von Cannabis-Arzneimitteln zu erheben. Des Weiteren sollten Motive, Wirksamkeitserwartungen, praktische Erfahrungen und Einstellungen zur Verwendung von Cannabis in der ärztlichen Behandlung dargestellt sowie mögliche Vorbehalte oder Ablehnungsgründe identifiziert werden.


Die Perspektiven weiterer wichtiger Akteur:innen beim Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln kam in zwei Fokusgruppengesprächen hinzu. Anhand von leitfadengestützten Fokusgruppen mit Ärzt:innen, betroffenen Patient:innen, Apotheker:innen und Jurist:innen wurden die verschiedenen Ansichten zur Versorgungssituation aller Akteur:innen gemeinsam diskutiert, Barrieren und Schnittstellenprobleme identifiziert und nach Lösungsansätzen gesucht.


Als Hinderungsgründe einer Verordnung wurden von Ärzt:innen der hohe bürokratische Aufwand der Verschreibung, nicht vorhandene Vorgaben zu Anwendungsgebieten, fehlende Evidenz sowie Ängste vor Arzneimittelregressen genannt. Die Fokusgruppenteilnehmer:innen erwähnten Defizite hinsichtlich der interdisziplinären Zusammenarbeit relevanter Akteur:innen sowie der Weiterbildungs- und Vernetzungsmöglichkeiten. Patient:innen berichteten von Schwierigkeiten bei der Suche nach Ärzt:innen, die Medizinisches Cannabis verschreiben und hohen Ablehnungsquoten bei Anträgen auf Kostenübernahmen. Die Ergebnisse legen dar, dass hinsichtlich einer bedarfsgerechten Versorgung von Patient:innen mit Medizinischem Cannabis Handlungsbedarf besteht. Versorgungshindernisse sowie -lücken betreffen insbesondere Informationsdefizite sowie fehlende Vernetzungsstrukturen und fachlichen Austausch.


3. Patient:innenbefragung

Die Ergebnisse der Befragung von Patient:innen zur Versorgungssituation mit Cannabis-Arzneimitteln in Frankfurt am Main basieren auf Interviews mit Betroffenen. Die vorliegende Studie fasst die Erfahrungen und Probleme der Betroffenen mit dem neuem Verschreibungs- beziehungsweise Zulassungsverfahren zusammen.


Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen können seit März 2017 aufgrund des Gesetzes „zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ Cannabis-Arzneimittel auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet bekommen. Zuvor brauchten Betroffene eine Ausnahmeerlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), um Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erhalten. Die Kosten für die Therapie trugen die Patient:innen in der Regel selbst. Die Gesetzesänderung von März 2017 ermöglichte vielen Patient:innen erstmals einen Zugang zu Cannabis als Arzneimittel, veränderte jedoch auch den Zugang für diejenigen, die bereits mittels einer Ausnahmegenehmigung Cannabis selbst zu medizinischen Zwecken anbauen oder konsumieren durften.


Für die Untersuchung konnten 170 Personen für ein persönliches oder telefonisches Interview gewonnen werden. Drei Zielgruppen wurden für die Befragung rekrutiert: Patient:innen mit einer Kostenzusage durch die Krankenkasse (Gruppe A), Patient:innen mit einer entsprechenden Ablehnung (Gruppe B) und Patient:innen, die bisher keine verschreibende Ärzt:in gefunden haben (Gruppe C).


Die Ergebnisse in Kürze:


Die genannten Beschwerden und Diagnosen der befragten Patient:innen bilden in allen drei Befragungsgruppen ein sehr breites Spektrum ab. Hervorzuheben ist, dass sich keine (drei) grundsätzlich verschiedenen Patient:innengruppen identifizieren lassen. Die Ablehnungsgründe (Gruppe B) beziehungsweise die Schwierigkeit der Arztsuche (Gruppe C) hängen also nicht nur von den Beschwerden der Patient:innen ab oder von Diagnosen mit unklaren Einsatzmöglichkeiten von Cannabismedikamenten. Bei denjenigen Personen, die aktuell Cannabis-Arzneimittel nutzen, wird überwiegend von (deutlichen) Verbesserungen berichtet. Es treten allerdings auch Nebenwirkungen auf.


Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum bei einem im Großen und Ganzen ähnlich gelagerten Krankheitsbild bestimmte Patient:innen eine Ärztin oder einen Arzt fanden, die:der Cannabis verschreibt und andere nicht. Dieser Befund unterstreicht die Notwendigkeit, eine qualitätsgestützte und verbesserte Verschreibungspraxis zu erreichen.


Nahezu alle Befragten, deren Antrag auf Kostenübernahme von den Krankenkassen abgelehnt wurde, haben Widerspruch eingelegt. Unter ihnen besteht auch eine hohe Bereitschaft bei abgewiesenem Widerspruch den Klageweg zu beschreiten. Neben den zusätzlichen Unannehmlichkeiten und individuellen Kosten für die rechtliche Auseinandersetzung, die dies für die Betroffenen bedeutet, ist von nicht unerheblichen gesellschaftlichen Kosten durch Verwaltungs- und Prozessabläufe auszugehen. Ein Großteil der Patient:innen mit einer abgelehnten Kostenzusage ist zudem von persönlichen Kosten betroffen, da fast alle Cannabis-Arzneimittel auf Privatrezept beziehen.


Die Zufriedenheit mit der Unterstützung beim Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln unterscheidet sich sowohl bei Patient:innen mit und ohne Kostenzusage stark nach Akteuren. Mit der Betreuung durch Ärzt:innen sind die Patient:innen überwiegend (sehr) zufrieden, mit den Krankenkassen hingegen ist die deutliche Mehrheit eher oder absolut unzufrieden.


Nicht nur die Verschreibung von Cannabis-Arzneimitteln stellt die Betroffenen vor eine Herausforderung. Eine Apotheke zu finden, die Cannabis-Arzneimittel führt, beschreiben Patient:innen als weitere Hürde. Schließlich sind auch in diesen Apotheken nicht alle Produkte jederzeit verfügbar.


Zum Stand der Aufklärung und Information zeigt sich in allen drei Befragungsgruppen ein gemischtes Bild. Der überwiegende Teil fühlt sich gut oder sehr gut durch Ärzt:innen und Apotheker:innen aufgeklärt. Demgegenüber steht aber jeweils ein Drittel bis knapp die Hälfte der Befragten, die beide Berufsgruppen in punkto Aufklärung negativ bewerten. Angesichts des notwendigen umfassenden Informationsstandes zu dieser Behandlungsform, legen diese Ergebnisse einen Handlungsbedarf nahe.


Die Patient:innen weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung überdurchschnittlich starke körperliche und psychische Belastungen auf. Dies betrifft insbesondere Patient:innen, die keine verschreibende Ärzt:in finden. Die Werte dieser Gruppe liegen näher an der klinisch relevanten psychischen Beeinträchtigung als an dem Durchschnittswert der Bevölkerung. Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit, die Versorgungsstruktur mit Cannabis-Arzneimitteln zu verbessern.


4. Dunkelfeldbefragung

Das Centre for Drug Research (CDR) der Goethe-Universität Frankfurt am Main führte im Zeitraum von 2018 bis 2019 zwei Erhebungen zur Erforschung des Dunkelfelds bei der medizinischen Versorgung mit Cannabisprodukten durch.


31 Personen, die Cannabis weit überwiegend aus medizinischen Gründen nutzen, sich aber teilweise oder komplett auf dem Schwarzmarkt mit der Substanz versorgen, wurden Ende 2018 in Frankfurt am Main qualitativ interviewt.


Um die Daten der Erhebung zu prüfen und zu ergänzen, schlossen die Wissenschaftler:innen eine bundesweite quantitative onlinegestützte Fragebogenerhebung für Cannabispatient:innen ohne Kostenübernahme an. Zielgruppe waren alle Konsumierenden über 18 Jahre, die entweder Erfahrungen bei der Selbstmedikation mit Cannabis ohne ärztliches Rezept gemacht haben oder Patient:innen, die zwar ein ärztliches Rezept hatten, ihre Krankenkassen aber die Kostenübernahme verweigerten. Durch den Fokus auf diese Zielgruppe sollte das Dunkelfeld der Selbstmedikation mit Cannabis vom Schwarzmarkt oder aus dem Eigenanbau und der Verschreibung auf Privatrezept erforscht werden. Die Untersuchung schließt ebenso die Vermischung von medizinisch begründetem Konsum und Freizeitkonsum ein, die bereits aus den qualitativen Interviews bekannt war.


In beiden Erhebungen kann weit überwiegend von einer deutlichen medizinischen Indikation für den Cannabiskonsum ausgegangen werden, wobei die Spannbreite an Symptomen und Wirkungen groß ist. In der Wahrnehmung vieler Betroffener haben aber unter anderem Vorurteile aus der Medizin eine angemessene, legale Medikation verhindert. Dies könnte damit zusammenhängen, dass viele Patient:innen auch die entspannende Wirkung von Cannabis befürworten, eine klare Trennung zwischen medizinischem und nicht-medizinischem Gebrauch somit nicht immer gezogen werden kann. Gleichzeitig haben Verbot und Stigmatisierung bei nicht wenigen, die Selbstmedikation betreiben, einen negativen Einfluss auf ihre gesundheitliche und soziale Situation. Dies betrifft unter anderem die wahrgenommene Ablehnung und teilweise offene Stigmatisierung seitens vieler Ärzt:innen, die dazu beiträgt, dass Betroffene ihre Selbstmedikation fortsetzen.


Insgesamt zeichnen sich drei Grundtypen von medizinisch Konsumierenden ab:
a) Personen mit schweren Erkrankungen, die auf beständige Medikation mit teils hohen täglichen Dosen angewiesen sind,
b) unregelmäßig Konsumierende mit oft weniger schweren Erkrankungen (aber dennoch klar medizinischer Indikation),
c) Grenzfälle zwischen medizinischem und Freizeitkonsum.


Insbesondere Personen aus Typ a forderten eine einfachere Verschreibungspraxis mit Kostenübernahme ein, wogegen Personen der Typen b und c häufig bereit wären, weiterhin Selbstzahler:innen zu bleiben – sofern sich Verfügbarkeit und Preisniveau verbessern. Zudem wird ein Abbau bürokratischer Hürden für verschreibende Ärzt:innen und Patient:innen empfohlen sowie Aufklärungsarbeit, um entsprechende, offenbar tiefsitzende Vorurteile gegenüber Cannabismedikation abzubauen.


5. Diskussion der Ergebnisse

Die vier vom Frankfurter Drogenreferat im Rahmen des Projekts Medizinisches Cannabis in Frankfurt am Main initiierten Untersuchungen beleuchten die Versorgung mit Medizinischem Cannabis aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Wesentlichen erhellen sich die Perspektiven der Patient:innen und Ärzt:innen auf die Behandlung selbst und das aktuelle Antragsverfahren. Cannabis als Medizin ist bei weitem nicht nur ein medizinisches Thema. Die Ergebnisse zeigen eindrücklich auf, wie viele komplexe Fragen und Problemstellungen mit der Versorgung mit Medizinischem Cannabis verbunden sind. Eine zufriedenstellende Versorgung müsste deshalb politische, gesellschaftliche, rechtliche, wirtschaftliche und auch ethische Aspekte berücksichtigen.


In allen Befragungen wird deutlich, dass nur wenige Ärzt:innen überhaupt bereit sind, Cannabis zu verschreiben. Patient:innen berichten über deutlich weniger ablehnende Begründungen von Seiten der Ärzt:innen, die sich auf ihre individuelle Behandlung beziehen. Stattdessen stoßen sie vermehrt auf eine generelle Ablehnung oder mangelndes Wissen zu Cannabis als Medizin.


Auch das Verhältnis zwischen Ärzt:innen und Patient:innen erscheint teilweise umgekehrt. Menschen, die eine Behandlung mit Cannabis wünschen, sind häufig gut darüber informiert. So haben über die Hälfte der Behandelten sogar Fachliteratur gelesen. Der Großteil spricht die Ärzt:in auf eine mögliche Behandlung an, nur ein geringer Anteil erhält den Hinweis auf diese Medizin von ärztlicher Seite.


Dementsprechend gezielt wählen die Patient:innen ihre Ärzt:innen aus: Über die Hälfte der Befragten geben an, ihre Ärzt:in speziell für die Behandlung mit Cannabis ausgewählt zu haben. Ein Großteil davon wendet sich direkt an Praxen mit diesem Schwerpunkt.


Die hohen gesetzlichen Hürden für die Genehmigung einer Behandlung mit Cannabis gehen in der Praxis zu Lasten der Ärzt:innen und Patient:innen.


So berichtet eine Ärztin, dass sie für einen gut begründeten Antrag eine dreiviertel Stunde benötige – wofür eine Gebühr von gut 15 Euro abgerechnet werden kann. Mehrere Befragte berichteten, dass ihre schwerkranken Patient:innen nicht in der Lage seien, die Anträge selbstständig auszufüllen und sie deren Part mit übernehmen würden. Auch die Patient:innen berichten fast alle, Unterstützung ihrer Ärzt:innen in Anspruch genommen zu haben. Diese Befunde legen nahe, dass sich mit Cannabis behandelnde Ärzt:innen viel Zeit für ihre Patient:innen nehmen müssen und teilweise ein großes Engagement an den Tag legen.


Gleichzeitig überlegt sich ein Großteil der befragten niedergelassenen Ärzt:innen aus Angst vor Regressen genau, welchen Patient:innen sie Cannabis verschreiben. Diese Befunde legen die Befürchtung nahe, dass selbst prinzipiell für eine Behandlung mit Cannabis offene Ärzt:innen eher nicht alle potentiellen Patient:innen damit versorgen.


Die Gründe für die Ablehnung von bis zu 40 % der Anträge auf eine Behandlung mit Cannabis-Arzneimitteln durch die Krankenkassen schätzen die befragten Akteur:innen als intransparent und eher willkürlich ein. In der Patient:innenbefragung konnten keine Unterschiede hinsichtlich der Schwere der Erkrankungen oder der Symptomatik zwischen den Gruppen (mit Kostenübernahme, abgelehnte Kostenübernahme, keine verschreibende Ärzt:in) festgestellt werden, die deren (mangelnden) Erfolg erklären.


Das Resümee der Fokusgruppen zur neuen Gesetzeslage fällt dementsprechend ernüchternd aus: Sie behindere eher eine angemessene Behandlung der Patient:innen mit Cannabis.


Dementsprechend versorgen sich weiterhin zahlreiche Patient:innen über Privatrezepte oder den Schwarzmarkt. Diese Gruppe schätzt es sogar als aufwändiger ein, eine Kostenübernahme in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten, als sich Cannabis selbst anzubauen. Wer kein Privatrezept erhält oder sich Cannabis aus der Apotheke nicht leisten kann, setzt sich zahlreichen Risiken aus und leidet unter zusätzlichen Ängsten - vor allem aufgrund der Strafverfolgung.


Zur medizinischen und psychosozialen Situation der Patient:innen ergaben sich einige Befunde, die auch für die allgemeine Diskussion um Cannabis als Medizin beachtlich erscheinen:


Patient:innen beschreiben oft den Alltag stark beeinträchtigende Symptome, die meist seit vielen Jahren bestehen. In allen Untersuchungen wird deutlich, dass die Patient:innen in der Regel noch weitere Medikamente einnehmen. Die Anzahl oder die Dosierung dieser Arzneien konnte im Verlauf der Einstellung auf Cannabis bei den allermeisten Patient:innen reduziert werden. Zusätzlich sind Patient:innen, die Selbstmedikation betreiben, oftmals psychisch stark durch das Strafverfolgungsrisiko sowie Stigmatisierung durch Ärzt:innen und andere Akteur:innen belastet. Das kann ihren Gesundheitszustand zusätzlich verschlechtern.


Fast alle Patient:innen beschreiben zudem als angenehm empfundene Nebenwirkungen. So nennt über die Hälfte der Patient:innen Gelassenheit und Ruhe, und über ein Drittel Appetitsteigerung und euphorische Stimmung.


Die Wirkung von Medizinischem Cannabis könnte im Zusammenhang mit einer erhöhten Lebensqualität stehen, über die sowohl von Patient:innen als auch von Ärzt:innen berichtet wurde. Dabei zeigen die Befunde aus der Patient:innenbefragung deutlich auf, dass die körperliche Belastung aller Gruppen weit über dem bundesweiten Durchschnitt liegt. Die mit Cannabis behandelten Gruppen weisen dennoch bei der psychischen Lebensqualität nur geringe Einschränkungen auf. Cannabis scheint bei vielen Patient:innen die Symptome und Beeinträchtigungen so weit zu lindern, dass sie wieder mehr am Leben teilhaben können.


6. Fazit

Alle Befragungen deuten darauf hin, dass für Cannabis-Arzneimittel in Deutschland derzeit keine qualitätsgestützte Gesundheitsversorgung besteht. Es konnten keine medizinischen Gründe dafür identifiziert werden, dass manche Patient:innen alle bestehenden Hürden bewältigen können und andere nicht.


Unter dem Aufwand und den Folgen des aktuellen Verschreibungs- und Antragsprozederes leiden alle Beteiligten – auch die Krankenkassen, der Medizinische Dienst der Krankenversicherung und schließlich die Gerichte, bei denen zahlreiche Fälle landen. Besonders zu betonen ist jedoch die immense psychische Belastung der Patient:innen, die kein Rezept oder bei hohem Bedarf keine Kostenübernahme erhalten.


Cannabis ist insgesamt weit davon entfernt, als ein Medikament wie jedes andere angesehen zu sein. Nur wenige Ärzt:innen scheinen sich eine Behandlung damit zuzutrauen oder auch zuzumuten. Diese Lücke füllen teilweise privatärztliche Anbieter.


Damit entsteht bei der Versorgung mit Medizinischem Cannabis ein Zweiklassensystem, in dem sich Privatpatient:innen und Selbstzahler:innen eine sichere und qualitätsgestützte Behandlung erkaufen können. Gleichzeitig setzen sich die „Verlierer:innen“ des gesetzlichen Systems weiterhin entweder den zahlreichen Risiken der Selbstmedikation aus oder verzichten auf den Versuch, ihre Symptome zu lindern und ihre Lebensqualität zu steigern.


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