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Newsletter Medizinisches Cannabis
4. Ausgabe 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu, aber die Diskussion um den weiteren Umgang mit medizinischem Cannabis nimmt noch mal richtig Fahrt auf.

Der Gemeinsame Bundesausschuss legte im Oktober einen Änderungsentwurf der Arzneimittelrichtlinie vor. Nun erntet er dafür massive Kritik: „Ein Schlag ins Gesicht der Patient:innen, die seit Jahren erfolgreich mit Cannabis-basierten Medikamenten behandelt werden“ – so urteilt eine öffentliche Erklärung mehrerer Fachverbände. Zu dieser Auseinandersetzung und zu anderen Themen aus dem Bereich medizinisches Cannabis informieren wir Sie in unserem heutigen Newsletter.

Wir wünschen allen unseren Leserinnen und Lesern eine interessante Lektüre, schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!

Herzlich,
Ihr Projektteam Cannabismedikation
Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main

Inhalt

Netzwerktreffen am 18.01.23.: "Regresse in der Cannabisbehandlung"

Bundessozialgericht: Voraussetzungen für Kostenübernahmen präzisiert

Änderungsentwurf der Arzneimittelrichtlinie in der Kritik

VCA plädiert für OCT-Cannabis

Cannbis zu Genusszwecken: Gesetzentwurf und Gutachten angekündigt

Netzwerktreffen am 18.01.23: „Regresse in der Cannabisbehandlung“

Eine Behandlung mit medizinischem Cannabis gilt als vergleichsweise teuer. Das trifft ganz besonders auf Therapien mit Cannabis-Blüten zu. Fast jede zehnte Ärztin und jeder zehnte Arzt geben daher in einer Umfrage aus dem Jahr 2021 an, wegen des Regress-Risikos von einer Cannabis-Verschreibung abzusehen.
Krankenkassen können einen Regress fordern, wenn das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V nicht eingehalten wird. Im Ergebnis muss die Ärztin oder der Arzt dann die unwirtschaftlich erbrachte Leistung aus eigener Tasche bezahlen.
Wie begründet ist die Sorge vor einem Regress bei einer Verordnung von Medizinalcannabis? Wie sollten Ärztinnen und Ärzte vorgehen, um die Gefahr eines Regresses zu vermeiden?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich das regionale Netzwerk Rhein-Main bei seiner nächsten Sitzung


am Mittwoch, dem 18. Januar 2023, von 18 bis 19 Uhr.


In das Thema führt Herr Dr. med. Harald Herholz von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ein. Die Sitzung findet wie üblich online statt.
Das regionale Netzwerk Rhein-Main wird vom Drogenreferat der Stadt Frankfurt organisiert. Alle medizinischen und pharmazeutischen Fachkräfte aus Frankfurt am Main und Umgebung sind herzlich dazu eingeladen. Bitte schreiben Sie uns eine Mail, um die Zugangsdaten zu erhalten: medizinisches.cannabis@stadt-frankfurt.de. Wir freuen uns auf Sie!


Bundessozialgericht: Voraussetzungen für Kostenübernahmen präzisiert

Das Bundessozialgericht (BSG) beschäftigte sich in seiner Sitzung vom 10. November mit vier vorinstanzlichen Ablehnungen von Kostenübernahmen. In seinem Terminbericht präzisierte es die Voraussetzungen für eine erstattungsfähige Verordnung von Medizinalcannabis:
1. Schwerwiegende Erkrankung:
Eine schwerwiegende Erkrankung liegt nach dem BSG vor, wenn „sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt“. Dies könne regelmäßig ab einem Grad der Schädigung (GdS) von 50 als gegeben angesehen werden. Im Einzelfall sei aber auch eine Kostenübernahme bei einem geringeren GdS möglich, wenn beispielsweise die Auswirkungen der Erkrankung „die Teilhabe am Arbeitsleben oder in einem anderen Bereich besonders einschränken“.
2. Keine alternative Therapie:
Hier setzt das BSG hohe Maßstäbe an die Dokumentationspflichten der Ärztin bzw. des Arztes. „Sofern eine Standardtherapie zur Verfügung steht, bedarf es der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung kommen kann“.
3. Nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Auswirkungen:
Unter Würdigung wissenschaftlicher Erkenntnisse sei zu gewährleisten, „dass die Behandlung im Ergebnis mehr nutzt als schadet“.
Das BSG stellt außerdem klar: Eine vorbestehende Suchterkrankung ist nicht zwangsläufig eine Kontraindikation. Jeder Einzelfall sei in einer gründlichen Abwägung zu begründen und zu dokumentieren.
Auch auf das Wirtschaftlichkeitsgebot weist das BSG ausdrücklich hin. Bei gleicher Eignung von Blüten und anderen Darreichungsformen „steht nur ein Anspruch auf Versorgung mit dem kostengünstigsten Mittel. Die KK [Krankenkasse, Anmerkung Projektteam] ist berechtigt, trotz Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen die Genehmigung der vom Vertragsarzt beabsichtigten Verordnung zu verweigern und auf eine günstigere, voraussichtlich gleich geeignete Darreichungsform zu verweisen“.
In der Sache wurde die Revision in drei Fällen zurückgewiesen. Die Ärztinnen und Ärzte hatten nach Ansicht des BSG nicht ausreichend begründet, warum denkbare Standardtherapien nicht in Betracht kommen. In einem Fall wurde der Vorgang an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung zurückgegeben, um die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme anhand der höchstrichterlichen Grundsätze erneut zu prüfen.


Änderungsentwurf der Arzneimittelrichtlinie in der Kritik

Die Bestimmungen zu medizinischem Cannabis stehen derzeit auf dem Prüfstand. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben muss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den zukünftigen Umgang mit Medizinalcannabis in einer Richtlinie neu regeln. Dafür besteht eine Frist von sechs Monaten, nachdem der Abschlussbericht zur Begleiterhebung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übermittelt wurde. Der Bericht wurde am 6. Juli 2022 veröffentlicht, somit läuft die Frist am 6. Januar 2023 ab.
Am 25. Oktober hat der G-BA einen ersten Entwurf zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie veröffentlicht. Außerdem hat er ein Stellungnahmeverfahren für Fach- und Branchenverbände eingeleitet. Dieses ist am 30. November zu Ende gegangen.
Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) setzt sich in ihrer Stellungnahme vom 30. November sehr kritisch mit dem Entwurf auseinander. Problematisiert werden vor allem die steigenden Anforderungen an eine Kostenübernahme. Konkret wendet sich die ACM gegen höhere Dokumentationspflichten, gegen eine Beschränkung der Therapieerlaubnis auf Fachärztinnen und Fachärzte sowie gegen eine Nachrangigkeit von Blüten bei der Verschreibung von Cannabis-Medikamenten.
Eine öffentliche Erklärung von acht Fachverbänden von Ärzteschaft, Apotheken, Pharmaunternehmen sowie Patientinnen und Patienten vom 30. November enthält ebenfalls massive Kritik: Die Behandlung mit Medizinalcannabis werde durch den Richtlinienentwurf erheblich erschwert, und dies obwohl „der aktuelle Rechtsrahmen bereits jetzt große Hürden für die Verschreibung von Cannabis als Medizin setzt“. Im Ergebnis würden bei einer Umsetzung der Pläne viele Patientinnen und Patienten in die Illegalität getrieben. Der Entwurf zur Änderung der Arzneimittelrichtlinie sei eine Bedrohung der etablierten Versorgung von schwerstkranken Menschen mit medizinischem Cannabis.
Wie der G-BA schließlich entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Schon heute wollen wir aber Interessierte auf die Sitzung des regionalen Netzwerks Rhein-Main


am Mittwoch, dem 15. März 2023, von 18 bis 19 Uhr


hinweisen: Bei diesem Treffen werden wir uns ausführlich mit den dann vermutlich abgeschlossenen Neuregelungen der Arzneimittelrichtlinie auseinandersetzen. (Save the date!)


VCA plädiert für OTC-Cannabis

Das Eckpunktepapier der Bundesregierung hat die Apotheken als mögliche Vergabestellen für Cannabis zu Genusszwecken wieder ins Spiel gebracht. Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) hat dazu Bedenken angemeldet, wie die Deutsche Apotheker Zeitung meldet.
„Wollen wir uns in das Spannungsfeld zwischen Heilberufler und Dealer begeben?“, lässt sich der Verband in dem Bericht zitieren. Ein Verkauf von Genussmitteln entspreche weder dem Selbstverständnis noch dem aktuellen rechtlichen Auftrag von Apotheken.
Stattdessen wartet der VCA mit einem neuen Vorschlag auf. Der Bezug von Cannabis soll in drei Varianten möglich sein:
1. als verschreibungspflichtiges Medikament in Apotheken, mit möglicher Kostenübernahme durch die Krankenkasse;
2. als sogenanntes OTC-Präparat in Apotheken, also als nicht verschreibungspflichtiges Medikament für Selbstzahler;
3. als Genussmittel in lizensierten Geschäften.
Erfahrungen aus dem Ausland würden zeigen: Nach einer Legalisierung steige gerade der Anteil der Konsumierenden im Alter über 65 Jahre. „Wahrscheinlich wollen diese älteren Konsumenten kein erstes High erleben, sondern sie wollen vielleicht ihre Kniearthrose behandeln oder ihren schlechten Schlaf“. Diese Personengruppe erfülle nicht immer die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme der Krankenkasse, sei aber mit dem Bezug von OTC-Medikamenten in einer Apotheke und der damit einhergehenden heilberuflichen Beratung besser aufgehoben als in einem lizensierten Shop.


Cannabis zu Genusszwecken: Gesetzentwurf und Gutachten angekündigt

Von Anfang an stießen die deutschen Pläne für eine Cannabisvergabe zu Genusszwecken auf europarechtliche Bedenken. Aus dem Grund hatte die Bundesregierung ihr Eckpunktepapier vom 26. Oktober zunächst der Europäischen Union (EU) vorgelegt. Auf der Internet-Seite der Bundesregierung hieß es: „Ein Gesetzentwurf soll … erst dann erarbeitet und vorgelegt werden, wenn die Vorprüfung ergibt, dass die geplanten Maßnahmen zur kontrollierten Cannabis-Abgabe rechtlich umsetzbar sind.“
Ob die Eckpunkte mit europäischem Recht kompatibel sind, ist weiterhin offen. Dennoch kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Pressekonferenz am 29. November an, nun einen Gesetzentwurf entwickeln zu lassen. Dieser soll dann ebenfalls der EU vorgelegt werden.
Offensichtlich kann die EU auf der Grundlage eines Eckpunktepapiers keine verbindlichen Aussagen treffen. „Gemäß den europarechtlichen Vorgaben können nur konkrete Regelungsentwürfe notifiziert werden“, räumte das Bundesgesundheitsministerium auf eine parlamentarische Anfrage des CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger ein, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland berichtete.
Unabhängig davon laufen laut Gesundheitsminister Lauterbach schon jetzt vertrauliche Gespräche mit der EU. Der Minister verriet in der Pressekonferenz am 29. November dazu: „Wenn wir der Meinung wären, dass das Ganze überhaupt keine Perspektive hätte, dann würde es sicherlich nicht stattfinden.“ Aber einfach werde es nicht. Es benötige „sehr gute Argumente“, um die EU von dem Vorhaben der deutschen Bundesregierung zu überzeugen.
Daher möchte der Bundesgesundheitsminister ein Gutachten anfertigen lassen. Darin werde es um die zentrale Frage gehen, ob die geplante Legalisierung der richtige Weg sei, um den Jugendschutz zu verbessern und den Konsum sicherer zu machen. „International renommierte Wissenschaftler, die ein Leben lang an diesen Themen arbeiten“, sollen das Gutachten verfassen.
Der Bundesgesundheitsminister möchte sowohl den Gesetzentwurf als auch das Gutachten im ersten Quartal 2023 vorlegen. Nach der Prüfung durch die EU könne eine Beratung im Bundestag dann im zweiten Halbjahr 2023 erfolgen.


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