Bundeskabinett beschließt Änderungen bei Medizinalcannabis
Das Bundeskabinett hat am 8. Oktober neue Regeln für die Verordnung von Medizinalcannabis beschlossen. Der Regierungsentwurf sieht vor allem zwei Änderungen vor: Erstens dürfen Cannabisblüten nur noch nach einem persönlichen Arztgespräch verordnet werden. Zweitens ist der Versand von Cannabisblüten zukünftig verboten. Bei Verstößen droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Anlass: umstrittene Telemedizin-Plattformen
Hintergrund für die Neuregelung ist die massive Zunahme von Verschreibungen über umstrittene Telemedizin-Plattformen. Dort genügt es oft, einen Online-Fragebogen auszufüllen, um an ein Rezept für Cannabisblüten zu gelangen. Von Versandapotheken erhält man das verschriebene Cannabis bis zur Haustür geliefert, ohne in einen persönlichen Kontakt zu Ärzt:innen und pharmazeutischen Fachkräften getreten zu sein.
Ein solches Modell spricht nicht nur Patient:innen an. „Vielmehr greifen Konsumenten zu Rauschzwecken in erheblichem Umfang auf Medizinal-Cannabis zurück“, schreibt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken laut apotheke adhoc in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten von Union und SPD. „Wir korrigieren … eine offensichtliche Fehlentwicklung, ohne die Versorgung von schwerkranken Patientinnen und Patienten einzuschränken.“
Versorgung für Patient:innen gefährdet?
Doch gerade beim letzten Punkt gibt es Widerspruch. Laut einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) beteiligen sich nur wenige Ärzt:innen und Apotheker:innen in Deutschland an der Versorgung mit medizinischem Cannabis. Daher „bedarf es auch zukünftig der Option telemedizinischer Verschreibungen, um eine flächendeckende Versorgung – insbesondere in strukturschwächeren Regionen – zu gewährleisten“. Bei einem Versandverbot wäre „die Rezepteinlösung für Medizinalcannabisblüten insbesondere auf dem Lande und außerhalb von Ballungsräumen mit sehr langen Anfahrtswegen verbunden.“ Das bedeute für „eine Personengruppe, die häufig wegen der Erkrankung erheblich mobilitätseingeschränkt ist, eine unzumutbare Härte“.
Rechtliche und politische Diskussion
Hinzu kommen verfassungs- und europarechtliche Bedenken, auch aus den Reihen des Koalitionspartners SPD. Der Entwurf schränke die Berufsfreiheit ein, lautet ein Vorwurf der Bundestagsabgeordneten Carmen Wegge und Christos Pantazis. Außerdem verstoße er gegen europäisches Recht, weil er Anbieter:innen aus dem EU-Ausland benachteilige. „In seiner jetzigen Form ist der Entwurf für uns … nicht zustimmungsfähig“, schreiben sie in einem Instagram-Beitrag. „Wir brauchen eine verfassungskonforme und europarechtskonforme Lösung, die moderne Medizin ermöglicht, digitale Wege stärkt und Patient*innen nicht im Stich lässt.“
Die Regierung hat am 2. Oktober ein Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Kommission eingeleitet. Sowohl durch die weiteren parlamentarischen Beratungen als auch durch Einwände der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union könnte es noch zu Änderungen am Gesetz kommen.
Fachsymposium „Cannabinoide in der Medizin“
Der Bundesverband Pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. und die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. präsentieren am 8. November in Düsseldorf das 4. Fachsymposium „Cannabinoide in der Medizin“. Die Teilnahme ist kostenfrei und sowohl in Präsenz als auch online möglich. Das diesjährige Schwerpunktthema ist die Geriatrie. Neben zahlreichen medizinischen Themen werden aber auch juristische Fragen wie Verordnungsvoraussetzungen und Regressrisiken behandelt. Hier findet man das vollständige Programm und die Möglichkeit zur Anmeldung.
Erster Zwischenbericht EKOCAN
Mit Spannung war der erste Zwischenbericht zur gesetzlich vorgesehenen Evaluation des Konsumcannabisgesetzes erwartet worden. Am 29. September stellten die beauftragten Forschungsinstitute in einer Pressekonferenz zentrale Ergebnisse vor. Das Verbundforschungsprojekt „Evaluation des Konsumcannabisgesetzes“ (EKOCAN) wird von drei Forschungsinstituten getragen: dem Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, dem Centre for Health and Society am Universitätsklinikum Düsseldorf und dem Institut für Kriminologie an der Universität Tübingen.
Grundsätzlich ist es nach Darstellung der Forscher:innen noch zu früh, um robuste Aussagen zu den Auswirkungen des KCanG zu treffen. Erste Einschätzungen treffen sie dennoch. Im Folgenden zitieren wir einige Kernaussagen aus dem Bericht und der dazugehörigen Pressemitteilung.
Konsum: „Die verfügbaren Daten sprechen … mehrheitlich bisher nicht dafür, dass sich das KCanG kurzfristig auf die Anzahl der jugendlichen oder erwachsenen Konsumierenden ausgewirkt hat.“
Gesundheit: „Das KCanG scheint sich nicht kurzfristig auf chronische Konsumprobleme ausgewirkt zu haben. Allerdings bestehen Hinweise auf eine leichte Zunahme akuter Konsumprobleme in regional begrenzten Datenquellen.“
Jugendliche: „Es liegen Hinweise vor, dass weniger Jugendliche nach der Teillegalisierung Suchtberatungen in Anspruch genommen haben.“
Kriminalität: „Im Jahr 2024 hat die Polizei im Bereich der Cannabisdelikte über 100.000 Fälle weniger verzeichnet als im Vorjahr.“
Illegaler Markt: „Es zeichnet sich … ab, dass Anbauvereinigungen für die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verdrängung des Schwarzmarktes bislang keinen relevanten Beitrag leisten. Ohne Korrekturen ist nicht zu erwarten, dass sich an dieser Entwicklung mittelfristig etwas ändert.“
Straßenverkehr: „Im Bereich Verkehrssicherheit zeigen sich nach der Teillegalisierung bisher keine maßgeblichen Veränderungen des selbstberichteten Führens eines Fahrzeugs unter Cannabiseinfluss und in der Zahl der im Straßenverkehr getöteten oder verletzten Menschen. Die Zahl der Unfälle unter dem Einfluss anderer berauschender Mittel, darunter von Cannabis, stieg vor und nach Inkrafttreten des KCanG an, wobei der genaue Einfluss der Teillegalisierung nur durch weitere statistische Auswertungen ermittelt werden kann.“
Gesamtbetrachtung: „Die vorliegenden Ergebnisse lassen bis jetzt keinen dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die untersuchten Bereiche erkennen.“
CDU: Ergebnisse sind Anlass zur Sorge
Aus Sicht der Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) zeigt die Evaluation „bedenkliche Tendenzen“. Als besorgniserregend bezeichnet sie gegenüber der Rheinischen Post unter anderem den Anstieg bei den Gesundheitsstörungen.
Ihr Parteikollege und Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Hendrik Streeck, beklagt in derselben Zeitung Fehlentwicklungen beim Jugendschutz. „Jugendliche geben an, heute leicht an Cannabis zu kommen. Zugleich ist die Zahl der Frühinterventionen zurückgegangen. Das heißt: Wenn Jugendliche konsumieren …, bekommen sie seltener Hilfe“.
Auch der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) äußert sich in einer Pressemitteilung kritisch zum neuen Gesetz. „Die bisherigen Ergebnisse der Evaluation bestätigten leider meine skeptische Einschätzung zur Teillegalisierung.“ Er problematisiert unter anderem den Anstieg von Unfällen durch Cannabis und andere berauschende Mittel.
SPD und Grüne: (Teil-)Legalisierung war richtiger Schritt
Ganz anders sieht es der Koalitionspartner SPD. Die Bundestagsfraktion veröffentlichte ein Presse-Statement ihres Vorstandsmitglieds Carmen Wegge: „Der … Zwischenbericht bestätigt, dass die Legalisierung von Cannabis der richtige und längst überfällige Schritt war. Die unabhängige Evaluation zeigt keinen relevanten Anstieg des Cannabiskonsums bei Erwachsenen und sogar einen Rückgang bei Minderjährigen, keine auffälligen negativen Effekte auf die Gesundheit Erwachsener und deutlich weniger Strafverfahren. … Gerade der Rückgang der Meldungen an Jugendämter und die stabile Verkehrssicherheitslage unterstreichen, dass wir mit einer regulierten, kontrollierten Abgabe deutlich mehr für den Kinder- und Jugendschutz tun als mit Verboten.“
Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) kommt in einem Facebook-Beitrag zu einem ähnlichen Schluss. Sie betont allerdings, dass die Anbauvereinigungen nicht ausreichen, um den Schwarzmarkt einzudämmen, und fordert: „Cannabisfachgeschäfte für Erwachsene sind der sinnvoll nächste Schritt!“
Weitere Evaluationstermine
Bis zum 1. April 2026 soll der nächste Zwischenbericht vorliegen. Dieser wird auch die Auswirkungen des Gesetzes auf die cannabisbezogene organisierte Kriminalität behandeln. Zwei Jahre später, bis zum 1. April 2028, folgt dann ein umfassender Abschlussbericht über die Ergebnisse der Evaluation.
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